Als Annette Berr im Frühjahr 86 den Sänger und Musiker Jan Pieper kennenlernte, konnte sie noch nicht ahnen, daß diese Verbindung ihr Leben radikal verändern sollte. Nicht nur leidenschaftliche Streitereien waren die Folge, sondern vor allem das Entdecken der Musik als vibrierender Ausdrucksform.
Erschienen von 1986 bis 1989 von ihr noch drei Erzählbände beim Hamburger Verlag am Galgenberg, u.a. der Szene-Seller Nachts sind alle Katzen breit, veröffentlichte die WEA Hamburg schon 1991 ihr erstes gemeinsames Album Blaue Krokodile. Die beiden, vom Underground/ Independent kommend, wurden zu Vorreitern der Neuerfindung eines alten Genres: deutschprachiges Chanson. Mit hartem Gegenwind sich permanent weiterentwickelnd, erschienen zwei weitere Alben bei der WEA: Haus mit 13 Zimmern und Schlaflos. Die eigenwillige musikalische Handschrift in Verbindung mit den außergewöhnlich seelennackten, von Kritikern hochgelobten Texten, wurden zu ihrem Markenzeichen. Im Herbst 1996 kam es zwischen den beiden kreativen Köpfen, die mittlerweile eine fünfköpfige Band um sich geschart hatten, zum Eklat. Zwei hochgradig nervöse Künstlerseelen, die im jeweils anderen ihre kongeniale Ergänzung gefunden und zehn Jahre zusammengehalten hatten, trennten sich während der Arbeit an ihrem vierten Album.
Annette Berr suchte einen neuen Mitstreiter und fand Rainer Kirchmann. Dieser hatte sich just zur selben Zeit, nach fünfzehn Jahren, von der Ostberliner Kultband Pankow getrennt, um sich ausschließlich seinen eigenen Projekten und dem Schreiben von Filmmusik zu widmen. Jedoch, wenn der Funke überspringt, sagt kein Musiker nein. Im Januar 1997 erschien ihr erstes gemeinsames Bühnenprogramm, im Juli ein Live-Album. Rainer Kirchmann nahm den roten Faden der vergangenen Jahre auf und schrieb mit Annette Berr neue Lieder, die den Gedanken des deutschen Chansons weiterentwickelten und zum Teil radikalisierten. Er führte das Konzept zurück auf seinen Ursprung.
Was nun entsteht ist der Kammermusik verwandt, wird sehr sparsam instrumentiert. Die scheinbare Durchsichtigkeit täuscht. Hinter der Klarheit stehen tiefes Gefühl und komplexe Kompositionen.
Und an diesem Punkt der Entwicklung beginnt sich ein Kreis zu schließen. Jan Pieper und Annette Berr, die über zwei Jahre kein Wort miteinander gewechselt hatten, treffen sich zufällig. Der alte, gemeinsame Kampfgeist lodert erneut auf. Rainer Kirchmann und Jan Pieper entdecken einen gemeinsamen Humor und gemeinsame künstlerische Ideen. Mehr Gemeinsamkeiten braucht man nicht.Sie entschließen sich, im KraftStudio eine Maxi-Single aufzunehmen, produziert von Kirchmann/ Pieper. Das Ergebnis überzeugt. Ein Album folgt.
Das vorliegende „màscará“ ist ein Meisterstück geworden. Ein rundes Werk, voller innerer Brüche und Authentizität.